10 Thesen für mehr Gleichstellung in der Wirtschaft und mehr Wirtschaft in der Gleichstellung
Deutschland braucht mehr wirtschaftspolitisches Denken in der Gleichstellungspolitik – und mehr Gleichstellung in der Wirtschaftspolitik!
Bis heute werden diese beiden Themen viel zu oft isoliert voneinander betrachtet. Dabei liegt das Potenzial auf der Hand: Frauen gelten als eines der größten ungenutzten Potenziale auf dem Arbeitsmarkt. Diverse Teams sind nachweislich erfolgreicher, treffen bessere Entscheidungen und stärken Innovation und Resilienz. Frauen stellen die Hälfte der Bevölkerung – sie sollten daher selbstverständlich auch die Hälfte der politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen prägen.
Doch häufig gehen wirtschaftspolitische Maßnahmen besonders zulasten von Frauen. Gleichzeitig bleibt die Gleichstellungspolitik oft auf staatliche Förderung und Unterstützung fokussiert, anstatt auf die Schaffung von strukturellen Rahmenbedingungen, die die ökonomische Eigenständigkeit von Frauen ermöglichen.
Unsere Botschaft ist klar: Die ökonomische Eigenständigkeit von Frauen ist mehr als ein individuelles Recht – sie ist eine strategische Chance für Deutschland. Ein Land, das auf das Potenzial aller seiner Bürgerinnen und Bürger setzt, wird als Gesellschaft und Wirtschaft nicht nur stärker, sondern auch wettbewerbsfähiger.
Daher hat der VdU 10 Thesen für mehr Gleichstellung in der Wirtschaft und mehr Wirtschaft in der Gleichstellung aufgestellt.
Die 10 Thesen des VdU sind:
- Kinderbetreuung ist kein Nice-to-have, sondern eine Wirtschaftsleistung.
- Frauen sind keine „stille Reserve“.
- Flexible Arbeitszeiten sind weder Ausbeutung noch Laissez-faire.
- Ehegattensplitting ist keine Familienförderung und hemmt den Erwerbsumfang von Frauen.
- Quoten sind kein Selbstzweck, sondern ein Hebel für mehr Chancengleichheit.
- Elterngeld ist keine sozialpolitische Leistung.
- Familienstartzeit ist der falsche Hebel für mehr partnerschaftliche Aufteilung der Sorgearbeit.
- Mutterschutz für Selbstständige ist keine Frauensache.
- Steuerfreie Überstundenzuschläge bei Vollzeit als Wachstumsimpuls gehen zulasten von Frauen.
- Unternehmerinnen brauchen keinen Goodwill, sondern faire Rahmenbedingungen beim Zugang zu Kapital.
Hintergründe und Forderungen zu den einzelnen Thesen:
1) Kinderbetreuung ist kein Nice-to-have, sondern eine Wirtschaftsleistung.
Die Bereitstellung qualitativ hochwertiger und ausreichender Kinderbetreuungsangebote ist ein entscheidender Faktor für die Erwerbstätigkeit von Eltern und insbesondere von Müttern. Nur wenn die Kinder von Unternehmer*innen und ihren Mitarbeitenden gut versorgt und betreut sind, können sie ihren beruflichen Tätigkeiten ruhig und mit klarem Kopf nachgehen. Gerade auch mit Blick auf den Fachkräftemangel ist es umso wichtiger, dass Arbeitnehmer*innen Familie und Beruf vereinbaren können und damit dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Wichtige Maßnahmen dafür sind:
- Die Umsetzung des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder.
- Die Beschleunigung des flächendeckenden Ausbaus bezahlbarer Kita-Betreuung auch in den Randzeiten. Denn noch immer fehlen laut Bertelsmann Stiftung in Deutschland 430.000 Kita-Plätze, wodurch der bestehende Rechtsanspruch in vielen Fällen gar nicht durchgesetzt werden kann und alternative kostenintensive Betreuungslösungen gesucht werden müssen.
- Die volle Absetzbarkeit der Kinderbetreuungskosten von der Einkommenssteuer. Denn nur, wenn Kinderbetreuung auch bezahlbar ist, wird sie umfassend in Anspruch genommen.
Die beschlossene stufenweise Einführung der Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder sowie der Ausbau von Kita-Betreuung werden jedoch selbst durch den Fachkräftemangel gebremst und erschwert. Attraktivere Entlohnung, gute Arbeitsbedingungen und realistisch umsetzbare Qualitätsstandards sind also unabdingbar, um eine leistungsfähige Betreuungs- und Bildungsinfrastruktur sicherzustellen. Der Wert von Arbeit darf sich nicht allein am direkten Umsatzerfolg oder Gewinn der Tätigkeit bemessen. Dies gilt insbesondere für die sozialen Berufe, in denen überdurchschnittlich oft Frauen beschäftigt sind. Denn sie halten allen anderen den Rücken frei. Stichwort: systemrelevant.
2) Frauen sind keine „stille Reserve“.
Frauen sind keine stille Reserve, sondern ein aktiver Treiber für Innovation, Wachstum und Wohlstand und nehmen eine aktive Rolle in der Gestaltung von Gesellschaft und Wirtschaft ein. Frauen sind weder „still“ noch „Reserve“, sie sind gleichberechtigte Akteurinnen, die ihre vielfältigen Perspektiven einbringen.
Gleichwohl bleibt ihr Potenzial aufgrund struktureller Hürden, finanzielle Fehlanreize, gesellschaftlicher Rollenbilder und mangelnder Vereinbarkeit von Beruf und Familie oftmals ungenutzt.
3) Flexible Arbeitszeiten sind weder Ausbeutung noch Laissez-faire.
Viel wird in Anbetracht der schwächelnden Wirtschaft und der Produktivitätslücken in Deutschland über Arbeitszeiten, Homeoffice und Arbeitsmentalität diskutiert.
Für den VdU ist klar: Wer davon ausgeht, dass Arbeitnehmende durch unflexible Arbeitszeiten vor der Ausbeutung durch Arbeitgeber*innen geschützt werden müssen, sollte den Schutzbegriff im Kontext der heutigen Zeit erneut betrachten: Der Schutz der Arbeitnehmenden besteht auch darin, ihnen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch Arbeitszeitflexibilisierung zu ermöglichen.
Gleichzeitig bedeuten individuelle Arbeitszeitmodelle, flexible Arbeitszeiten und Homeoffice nicht automatisch fehlende Leistungsbereitschaft und ein Ausnutzen der Freiräume zuungunsten von Arbeitgebenden. Abhängig von der persönlichen Situation der Arbeitnehmenden und den betrieblichen Voraussetzungen und Notwendigkeiten führen Flexibilisierung und Individualisierung vielfach zu Win-Win-Situationen für Arbeitnehmende und Arbeitgebende.
Dabei ist wichtig, dass die Flexibilisierung und Individualisierung von Arbeitszeiten auch rechtlich ermöglicht wird: Gerade auch mit Blick auf die Vereinbarkeit von Privatem und Beruf ist es nicht ungewöhnlich, dass Arbeitnehmer*innen beispielswiese am Nachmittag ihre Arbeitszeit für die Kinderbetreuung, die Pflege von Angehörigen oder ehrenamtliches Engagement unterbrechen und dann abends noch einmal arbeiten wollen. Der VdU regt daher an:
- Eine Reduzierung der elfstündigen Mindestruhezeit
- Eine Orientierung an einer Wochenarbeitszeit, statt einer Messung der Tageshöchstzeit
4) Ehegattensplitting ist keine Familienförderung und hemmt den Erwerbsumfang von Frauen.
Familie und Ehe können heutzutage nicht mehr gleichgesetzt werden. In Gesamtdeutschland werden 33 Prozent der neu geborenen Kinder nicht in Ehen hineingeboren; in Ostdeutschland sogar über 50 Prozent. Die Scheidungsrate liegt unverändert hoch bei über 35 Prozent und jede 5. Familie ist eine alleinerziehende Familie. Eine sinnvolle Familienförderung sollte daher nicht mit dem Ehegattensplitting verknüpft sein.
Hinzu kommt, dass das Steuer- und Abgabensystem noch immer auf die Einverdiener-Ehe ausgerichtet ist und den Ausbau des Erwerbsumfangs von Frauen hemmt. Dadurch stoßen auch Strategien mit dem Ziel, Menschen allein durch höhere Entlohnung für Mehrarbeit zu gewinnen, an Grenzen. Gerade in Paarhaushalten lohnt sich Mehrarbeit für den Partner oder die Partnerin mit geringerem Verdienst, meist ist es die Frau, finanziell oft zu wenig, unter anderem aufgrund des Ehegattensplittings.
Der VdU fordert:
- Die Steuerklassenkombination III/V gehört sofort abgeschafft.
- Das Ehegattensplitting muss zugunsten eines modernen Realsplittings weiterentwickelt werden.
- Es braucht einen Bestandsschutz für bestehende Ehen, um gesellschaftliche Akzeptanz und politische Mehrheiten zu gewinnen.
- Familien müssen unabhängig vom Ehegattensplitting unterstützt werden.
5) Quoten sind kein Selbstzweck, sondern ein Hebel für mehr Chancengleichheit.
Quoten haben das Potenzial strukturelle Barrieren und festgefahrene Ungleichheiten in Wirtschaft und Politik zu durchbrechen. Eins zeigen bisherige Quoten eindeutig: Sie wirken.
Trotz hoher Qualifikation und Leistungsbereitschaft stoßen Frauen oft an eine „gläserne Decke“, die Ihnen den Zugang zu Führungspositionen oder entscheidenden Gremien erschwert. Studien zeigen, dass unbewusste Vorurteile (Biases) dazu führen, dass Personen andere Personen bevorzugen, die Ihnen ähnlich sind. Männer bevorzugen also Männer. Quoten setzen hier einen Anreiz, Muster zu hinterfragen, Entscheidungen bewusster zu treffen und Ungleichheiten sukzessive abzubauen.
Dabei ist deutlich zu betonen, dass Quoten nur eine Krücke für den Übergang sind, sodass auf diese möglichst in Zukunft verzichtet werden kann.
6) Elterngeld ist keine sozialpolitische Leistung.
Das Elterngeld wurde 2007 als gleichstellungspolitische und nicht als sozialpolitische Maßnahme eingeführt. Trotz Kritik daran hat diese Maßnahme unter anderem dazu geführt, dass Frauen in der Zeit nach der Geburt des gemeinsamen Kindes nicht vollends von ihrem Partner abhängig sind. Gleichzeitig gehen heute mehr Männer in Elternzeit als es damals noch der Fall war. Dass durchschnittliche 3,7 Monate nicht unserem Anspruch an die paritätische Aufteilung der Sorgearbeit entsprechen, ist offensichtlich. Die Frage ist daher, was wir noch tun müssen.
Der VdU schlägt vor:
Statt einer Reform der Elterngeldregelungen basierend auf einer am Bruttoeinkommen-orientierten Bemessungsgrenze, sollte das Elterngeld reformiert werden, mit dem Ziel einer fairen 50:50-Verteilung von Elternzeiten zwischen Vätern und Müttern.
- So sollte der Elterngeld-Höchstsatz z. B. nur bei einer 50:50-Aufteilung der Elternzeit ausgezahlt werden. Je paritätischer die Elternzeit-Aufteilung, desto mehr Elterngeld wird ausgezahlt.
- Die Orientierung am Bruttoeinkommen des*der jeweiligen Partner*in in der Zeit vor der Geburt entfällt damit.
7) Familienstartzeit ist der falsche Hebel für mehr partnerschaftliche Aufteilung der Sorgearbeit.
Der VdU sieht die Themen Elternzeit und Elterngeld als die größeren Hebel für eine partnerschaftliche Aufteilung der Sorgearbeit als die Familienstartzeit. Denn sofern die Elternzeit fair zwischen den Partnern aufgeteilt wird, verbringen beide Partner signifikant und allein Zeit mit dem Nachwuchs. Es ist unwahrscheinlich, dass Eltern nach einer gemeinsamen Familienstartzeit ihre ursprünglichen Elternzeitpläne, in der Regel meist das klassische 12+2, umwerfen und neugestalten.
Es braucht Modelle, die partnerschaftliche Aufteilung fördern – mit festen Zeitkontingenten für beide Elternteile (z. B. 6+6+6 o. Ä.) oder finanzielle Anreize, die eine gleichmäßige Aufteilung der Sorgearbeit belohnen. Eine Möglichkeit könnte sein: Je partnerschaftlicher die Elternzeit verteilt ist, desto mehr Elterngeld wird den Paaren ausgezahlt.
8) Mutterschutz für Selbstständige ist keine Frauensache.
In Deutschland haben selbstständig erwerbstätige Frauen grundsätzlich keinen Anspruch auf die gesetzlichen Mutterschutzfristen oder die Zahlung von Mutterschutzgeld. Die Regelungen des Gesetzes zum Schutz von Müttern bei der Arbeit, in der Ausbildung und im Studium (Mutterschutzgesetz – MuSchG) finden auf sie keine Anwendung. Selbstständige Frauen, die keinen Anspruch auf Mutterschaftsgeld haben und nicht über die notwendige Zusatzversicherung für Krankentagegeld verfügen, sind im Fall einer Schwangerschaft also einem ernstzunehmenden finanziellen Risiko ausgesetzt. Unternehmen, die nur aus einer oder wenigen Personen bestehen, sind besonders stark betroffen.
Zusammen mit dem Startup-Verband und dem Bundesverband der Freien Berufe schlägt der VdU eine solidarische Finanzierung des Mutterschutzes für Selbstständige über die U2-Umlage vor. Alle Selbstständigen (Männer und Frauen gleichermaßen) sollten sich durch Beiträge am Ausgleichsverfahren für Mutterschutzleistungen (U2-Verfahren) beteiligen.
9) Steuerfreie Überstundenzuschläge bei Vollzeit als Wachstumsimpuls gehen zulasten von Frauen.
Der VdU erachtet das Ziel, das Arbeitsvolumen zu erhöhen, um den Wohlstand des Landes zu sichern, als richtig. Gleichzeitig sieht der Verband den Vorschlag, steuerfreie Überstundenzuschläge bei Vollzeitarbeit kritisch:
- In den Leitungs- und Führungsebenen der Unternehmen sind die Überstunden meist mit dem Gehalt abgegolten; bei Selbstständigen gibt es keine Überstunden. Für Familien mit kleinen Kindern, in denen beide Elternteile arbeiten, ist die reguläre Vollzeit schon eine große Herausforderung bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Gleiches gilt für pflegende Angehörige.
- In der aktuellen Praxis ist es gängig, dass Überstunden in Form von Freizeitausgleich abgegolten werden. Dies schafft sowohl für Unternehmen als aus Arbeitnehmer*innen Flexibilität, z. B. für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Eine Privilegierung von Zuschlägen würde diese Flexibilität gefährden.
- Der Druck hin zu niedrigeren Vollzeitarbeitszeiten in Tarifverhandlungen würde weiter steigen und kontraproduktiv für die notwendige Steigerung des Arbeitsvolumens.
- Es steht zu befürchten, dass steuerfreie Überstunden bei Vollzeitarbeit dazu führen würden, dass Männer noch mehr Überstunden machen und Frauen ihre Teilzeit noch weiter ausbauen und Stunden reduzieren, um die zusätzliche Arbeitszeit der Männer in der Sorgearbeit von Kindern oder bei zu pflegenden Angehörigen zu kompensieren.
Statt steuerlicher Anreize für Überstunden sollte die allgemeine Steuerbelastung in den Blick genommen werden. Wer mehr arbeitet, sollte grundsätzlich dafür belohnt werden und mehr Netto vom Brutto in der Tasche haben.
10) Unternehmerinnen brauchen keinen Goodwill, sondern faire Rahmenbedingungen beim Zugang zu Kapital.
Im Bereich der Unternehmensfinanzierung zeigen sich klare Benachteiligungen von Unternehmerinnen und Gründerinnen durch einen „Gender Bias“ in Investmentprozessen. Nur zwei Prozent der eingeworbenen Mittel entfielen im Jahr 2022 auf die von Frauen gegründeten Unternehmen. Um diesen zu überwinden, sind deutliche Veränderungen bei Venture Capital, staatlichen Förderungen, der Förderung von weiblichen Business Angels und dem Zugang zu klassischen Bankkrediten für Unternehmerinnen notwendig. Denn durch einen verbesserten Zugang zu Kapital für frauengeführte Start-ups und Unternehmen in der Gründungs- und Wachstumsphase kann die Zahl der Unternehmerinnen gesteigert und damit mehr Vielfalt im Unternehmertum erreicht werden. Dies ist nicht zuletzt auch im wirtschaftlichen Interesse von Hausbanken, Venture Capital und Investor*innen. Denn Unternehmen mit Frauen im Führungsteam und Start-ups mit Frauen im Gründungsteam sind nachweislich langfristig erfolgreicher als reine Männerteams. Die Unternehmerinnen im VdU sehen dabei auch den Staat als öffentlicher Kapitalgeber und die Hausbanken als Mittler in einer besonderen Vorbildfunktion. Staatliche Optionen könnten sein:
- Eine Mindestquote von 30 Prozent für die leitenden Positionen im Investment-Team öffentlicher VC-Gesellschaften, damit öffentliche Investor*innen ihrer Vorbildfunktion gerecht werden
- Ein separater staatlicher Fonds für Gründerinnen und eine Gründerinnenquote bei staatlichen Fördermitteln. Der separate staatliche Fonds könnte z. B. in Form eines Evergreen-Fonds ohne feste Laufzeit ausgestaltet sein und sich speziell an Gründerinnen richten, indem er sich stärker an langfristiger Profitabilität orientiert.
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Über den VdU
Der Verband der Unternehmerinnen in Deutschland e.V. (VdU) vertritt seit 1954 als Wirtschaftsverband branchenübergreifend die Interessen von Unternehmerinnen mit unterschiedlicher Unternehmensgröße in Politik und Gesellschaft. In besonderem Maße zeichnet uns die Verbindung von unternehmerischer Interessenvertretung und gleichstellungspolitischer Lobby aus.
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Inken Patermann
Leiterin politische Kommunikation
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