UNTERNEHMERIN

Aus Leidenschaft

Eigentlich wollte Katharina Kreitz Astronautin werden. Dann gründete die Ingenieurin mit zwei Partnern Vectoflow, ein Unternehmen für Messtechnik. Nach den Sternen greift sie trotzdem, nur eben anders. Ihr Unternehmen Vectoflow entwickelt fluiddynamische Messtechniklösungen, darunter die kleinsten Strömungssonden der Welt zum branchenübergreifenden Einsatz.

Technik sei ihre große Leidenschaft, sagt Katharina Kreitz. Und wie zum Beweis erklärt die Ingenieurin, was gerade in dem Windkanal passiert, neben dem sie steht. Dieser Windkanal befindet sich auf halbem Weg zwischen München und dem Ammersee in Gilching. Hier, am Sonderflughafen Oberpfaffenhofen, hat Vectoflow im Frühjahr 2016 sein Quartier bezogen. Gleich um die Ecke liegt das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Eine inspirierende Nachbarschaft für die Mitgründerin von Vectoflow, die an der Technischen Universität (TU) München Maschinenbau mit dem Schwerpunkt Luft- und Raumfahrttechnik studierte und neben dem Studium für Airbus, Lufthansa Technik und die NASA tätig war. Für die amerikanische Forschungsorganisation arbeitete Kreitz an einem Projekt mit, das die „neutrale Körperhaltung im Weltraum“ zum Thema hatte. „Die Herausforderung dabei war, das auf der Erde nachvollziehbar zu machen – wir konnten ja nicht im Weltraum testen –, aber Werte zu erzielen, die möglichst nah dran sind.“

Die Faszination für Messtechnik begleite sie also schon lange, doch ein eigenes Unternehmen sei anfangs nicht das Ziel gewesen. Sie sei zufällig hineingeraten, als sie ihre Diplomarbeit bei BMW geschrieben habe. „Mein Betreuer und späterer Mitgründer Christian Haigermoser und ich arbeiteten im Windkanal und hatten ständig Ärger mit der Messtechnik.“ So kam es zu der Idee, selbst Messtechnik herzustellen, mit dem 3-D-Drucker. Das Experiment gelingt, der Prototyp ist funktionsfähig. „Wir überlegten, was wir damit machen können, und hatten vom Gründungsstipendium EXIST gehört, das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz vergeben wird“, sagt Katharina Kreitz. „Die fanden unsere Idee zwar super, aber es fehlte ihnen jemand mit BWL-Background im Team.“ Der Versuch, jemanden zu finden, scheitert: „Es hat einfach nicht gepasst.“ Da entwickelt die Chefin von Vectoflow einen Plan B: „Am Collège des Ingénieurs in Paris kann man ein MBA-Programm in zehn Monaten absolvieren. Ich habe das Bundesministerium gefragt: „Wenn ich den MBA habe, bekommen wir dann das Stipendium?“ Sie muss schmunzeln. „Das hat funktioniert.“ Gemeinsam mit dem dritten Co-Gründer Florian Wehner, der inzwischen das Unternehmen verlassen hat, bringen sie Vectoflow an den Start. „Meine Mutter hat die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen“, erinnert sich Katharina Kreitz, „weil ich nach dem MBA so viele gute Jobangebote hatte.“ Der Vater dagegen habe sie in ihren Plänen unterstützt: „Mein Vater ist auch Ingenieur, hat auch sein eigenes Unternehmen. Er hat zu meiner Mutter gesagt: ‚Lass sie mal machen.‘“

Bis zum ersten Erfolg des Start-ups dauert es nicht lange. „Wir haben eine Website gebaut, nach dem Motto ‚Jedes Unternehmen braucht eine Website‘. Die Seite war hässlich, hatte aber ein Kontaktformular.“ Eine Woche später meldet sich ein Rennstall aus der Formel 1. „Ich dachte, da hat einer den Account gehackt, das ist ein blöder Witz. War es aber nicht.“ Bis heute arbeitet Vectoflow für diesen Kunden, so wie für viele andere in München, Berlin und weltweit in mehr als 80 Ländern. „Wir sind in einer sehr starken Nische am Markt“, sagt Katharina Kreitz, „und haben weltweit nur zwei Mitbewerber.“

Mit der Sensorik von Vectoflow lassen sich Strömungen messen – bei Wind, Wasser, Öl und Gas. „Wir rechnen dann verschiedene Parameter raus, wie Geschwindigkeit, Temperatur und Druck. Das ist die Basis, um etwas effizienter zu machen.“ Der Einsatz von Messtechnik sei für viele Branchen bei der Weiterentwicklung ihrer Produkte essenziell, „von Autos und Flugzeugen über Triebwerke und Drohnen bis zur Dunstabzugshaube“. Wenn sie so leidenschaftlich von ihrer Arbeit spricht, ist kaum vorstellbar, dass ihr unternehmerischer Weg auch ein Plan B ist. Denn ursprünglich wollte Katharina Kreitz Astronautin werden. „Seit ich klein war, gab es diesen Wunsch. Ich hatte wirklich vor, mich für das Programm zu bewerben“, sagt die Ingenieurin. Ein Skiunfall mit Folgen habe das verhindert. Auch als Begleiterin auf privaten Weltraumflügen sei sie abgelehnt worden. „Mein Professor an der Uni hat mir daraufhin den schönen Satz geschrieben: ‚Man kann auch ein sehr, sehr glückliches Leben haben, ohne da draußen oder da oben zu sein.‘ Stimmt.“ Sich in neuen Lebenslagen „einzurichten“ und das Beste aus der Situation zu machen falle ihr nicht schwer. So war es auch zu Beginn bei Vectoflow: „Meine Vorstellung war, dass ich am Computer sitze und konstruiere, aber meine Mitgründer meinten: ‚Nein, Katharina, du musst Sales machen, mit Investoren reden, auf Bühnen stehen.‘ Als ich meinen ersten Vortrag halten musste, konnte ich vor Aufregung zwei Nächte vorher nicht schlafen.“ Dass sie vom Typ her eher extrovertiert sei, habe ihr in Situationen wie diesen geholfen.

Heute steht Katharina Kreitz auf vielen Bühnen. Als Keynote-Speakerin oder bei der Vergabe von Awards. Bislang sind es zwölf Auszeichnungen, die sie für sich oder ihr Unternehmen entgegennehmen konnte. So wurde sie 2019 von „Manager Magazin“ und Boston Consulting Group unter die 100 einflussreichsten Frauen in Deutschland gewählt; 2020 erhielt sie den Female Founder Award von „Handelsblatt“ und McKinsey.

Wie sieht sie sich in ihrer Rolle als Unternehmerin? Wieder muss sie schmunzeln. Sie sei per se „allein unter Männern“ – im Studium genauso wie später im Beruf. Und auch auf Kund*innenseite gebe es nur einen weiblichen Ansprechpartner. Als Nachteil empfinde sie das nicht, auch wenn sie sich darüber ärgere, ihre Kompetenz in Kund*innengesprächen viel mehr belegen zu müssen, als es männliche Kollegen tun. Trotzdem, Verständnis für Frauen, die sich aufgrund ihres Geschlechts ständig benachteiligt fühlen, habe sie nicht. „Ja, es gibt diese gläserne Decke, aber man muss gucken, wie man trotzdem zum Ziel kommt.“

Dass sie inzwischen als Role Model gilt, sei ihr ein wenig hochgegriffen, sagt Katharina Kreitz. Andererseits sei es wichtig, Mädchen für MINT-Berufe zu begeistern, damit sich ihre eigenen Erfahrungen aus Studium und Beruf nicht wiederholen. Allerdings „muss man früh anfangen, nicht erst in der zehnten Klasse. Dann haben die Mädchen schon ihren Traum, wo sie hinwollen.“ Sie gehe mit Desktop-3-D-Druckern in Schulen und zu Girls Days. „Da drucken wir dann irgendwas, das gerade hip ist, damit die Mädchen sehen, dass Mathe cool sein kann.“

Aus ihrer eigenen Kindheit wisse sie, dass Kinder es schnell übernehmen, wenn Eltern ein Schulfach doof finden. „Und wenn das dann erst in den Köpfen festsitzt – Mama sagt, Mathe kann keiner –, ist es schwer, Begeisterung zu wecken.“ Die Naturwissenschaften müssten aus „ihrer Nische heraus“, sagt Katharina Kreitz. Und dabei wolle sie helfen. Während die Tests im Windkanal von Gilching weiterlaufen, spricht die Unternehmerin über ihre Pläne. Gerade war sie in den USA, wo Vectoflow derzeit eine Niederlassung aufbaut. Die Expansion soll ohne Venture Capital erfolgen. Außerdem stehe die Weiterentwicklung des 3-D-Drucks auf dem Plan, sagt sie. Und dann ist da ja auch noch der Umzug.

Im November werden die Kartons ein- und 400 Meter weiter auf dem Gelände wieder ausgepackt. „Da haben wir eine große Werkstatt und einen zweiten Windkanal“, sagt die Chefin von Vectoflow. Das klingt nach Hands-on-Mentalität – und genau die hat sich Katharina Kreitz bewahrt, auch wenn ihre Aufgaben ihr wenig Zeit dafür lassen. Ob sie sich vorstellen könnte, irgendwann zu verkaufen und dann etwas ganz anderes zu machen? Wieder ein belustigter Blick. „Ich würde wieder etwas mit Technik machen. Auf jeden Fall.“

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ZUR PERSON:

Katharina Kreitz wurde 1987 in München geboren und studierte nach dem Abitur Maschinenbau mit dem Schwerpunkt Luft- und Raumfahrttechnik an der TU München. Im Anschluss absolvierte sie ein MBA-Programm am Collège des Ingénieurs in Paris. Bereits während ihrer Studienzeit arbeitete sie für Airbus, Lufthansa Technik und die NASA. Das von ihr 2014 mitgegründete Unternehmen Vectoflow hat seinen Sitz in Gilching bei München. Es entwickelt fluiddynamische Messtechniklösungen, darunter die kleinsten Strömungssonden der Welt zum branchenübergreifenden Einsatz. Katharina Kreitz und Vectoflow wurden bereits mehrfach ausgezeichnet, etwa mit dem Deutschen Innovationspreis 2020. Derzeit baut die Unternehmerin eine Niederlassung in den USA auf.

Text: Christian Bracht
Fotos: Thomas Dashuber

 

Dieser Artikel wurde erstmals in der UNTERNEHMERIN (2022/1) veröffentlicht.