UNTERNEHMERIN

Nutzerdaten – Währung der Zukunft

Wie werden sich Handel und Digitalisierung entwickeln? Christina Käßhöfer, Strategic Advisor, Aufsichtsrätin und Moderatorin mit Fokus auf strategische Markenführung, Handel und Mobilität der Zukunft, nennt die wichtigsten Trends.

Frau Käßhöfer, Digitalisierung und Handel – das scheint ein schwieriges Thema zu sein. Tut sich der Handel in Deutschland damit wirklich so schwer?

Das mag auf ersten Blick so scheinen. Dennoch gibt es kaum ein deutsches Handelsunternehmen, das sich nicht mit der Digitalisierung beschäftigt, von Pilotprojekten bis zu groß skalierten Transformationsprozessen. Sicherlich stehen Klein- und Mittelstandsunternehmen aufgrund von fehlenden Ressourcen, mangelndem internen Know-how oder Budgetrestriktionen oftmals vor der Frage, wie sie sich dem Thema nähern sollen. Da können wir helfen.

Wie wird das Shopping der Zukunft aussehen?

Die Art des Einkaufens im Jahr 2030 erfinden wir komplett neu. Retail der Zukunft wird die Grenzen zwischen der physischen und digitalen Welt verschmelzen lassen: Gamification und Virtual-Reality-gestützte Shoppingerlebnisse; Sensoren für die Gesichtserkennung, Health Tracker im Auto oder am Handgelenk, die meinen Blutdruck messen und dann das richtige Nahrungsergänzungsmittel bestellen; personalisierte Werbeinhalte lokaler Einzelhändler, die ich auf dem Smartphone oder in meinem Fahrzeug empfange; smarte AR-Anwendungen, die es ermöglichen, Herkunftsort, CO2- Fußabdruck oder Kalorien eines Lebensmittels im Store digital angezeigt zu bekommen; stärker personalisierte Angebote, basierend auf meinem Kauf- und Konsumverhalten; digitale Preisaus-zeichnungen im Store, die dank dynamischem Pricing in Echtzeit auf Angebot und Nachfrage reagieren; Live, Voice und Social Commerce.

Vieles davon wird bereits getestet. Und für alles werden validierte Nutzer daten benötigt. Ich bin überzeugt davon: Nutzerdaten sind die Währung der Zukunft.

Wo steht der deutsche Handel in Sachen Digitalisierung im Vergleich zum (europäischen) Ausland?

Mehr und mehr Unternehmen vertreiben ihre Produkte verstärkt vertikal, also über den eigenen Onlineshop oder Marktplatz, um von attraktiven Margen und einem direkten Einfluss auf die Markenführung zu profitieren. Das ist allerdings kein deutsches Phänomen. Digitalplayer wie Zalando, About You, Signa Sports United mit Fahrrad.de, aber auch MyTheresa haben in den vergangenen Jahren international expandiert und besetzen mit unterschiedlichen Businessmodellen eine erfolgreiche Handelsnische. Die Fashion- und Technologieplattform About You erreicht elf Millionen Kund*innen in 26 Ländern und vermarktet neben Produkten erfolgreich ihre Kundendaten. Ein Segment, das die digitale Transformation von Prozessen stark für sich genutzt hat, ist der Lebensmitteleinzelhandel, allen voran die Discounter. Inzwischen kann man bei Lidl ein Bahnticket oder einen Leasingvertrag für einen Tesla erwerben und online exklusive Produkte shoppen. Bei Rewe „Pick & Go“ in Berlin oder der Edeka Smart Box an der Ostsee, zwei digital optimierten Nahversorgerläden, lässt es sich bequem ohne Personal rund um die Uhr einkaufen. Kleinere Smarthubs in Stadtteilen sichern eine schnelle Warenversorgung.

Was suchen die Konsument*innen?

In der Regel einen unkomplizierten Kaufprozess für Produkte des täglichen Bedarfs und die Vereinfachung von unliebsamen Aufgaben wie dem Bezahlen. Niemand wartet gern an der Kasse. Flexible Fulfilment-Lösungen wie Click and Collect oder die Lieferung vom Store nach Hause sowie Selfscanning-Kassen wie im neuen Zara-Store in Madrid sind bequem und sparen Zeit. Auf der anderen Seite wünschen sich 64 Prozent aller Konsument*innen ein stärker personalisiertes Shoppingerlebnis, online wie offline, wollen zudem begeistert und besser beraten werden. Der Wunsch nach Transparenz darüber, wer das Produkt unter welchen Arbeitsbedingungen hergestellt hat, ob die Materialien nachhaltig sind oder wie viele Vorbesitzer*innen es hatte, kann dank RFID-basiertem Tracing ebenfalls erfüllt werden, wenn die Marke oder der Händler diese Informationen bereitstellt.

Sie beschäftigen sich seit Jahren mit der Zukunft des Handels. Was sind Ihrer Ansicht nach in diesem Zusammenhang die Megatrends? Und welche Rolle wird dabei die Digitalisierung spielen?

Nach zwei Jahren der Online-Euphorie hat sich in den ersten neun Monaten dieses Jahres das Wachstum deutlich verlangsamt. Auch der Onlinehandel kann sich der allgemeinen Kaufzurückhaltung nicht entziehen. Während die Digitalisierung in den vergangenen Jahren E-Commerce als zusätzlichen Vertriebskanal, Transaktions- und Logistikprozesse und eine vernetzte Customer Journey stark fokussiert hat, wird die Digitalisierung meiner Meinung nach drei Bereiche am stärksten verändern: wie Händler Waren beschaffen, planen, bevorraten und zu den Konsument*innen bringen; wie das Einkaufserlebnis neu inszeniert wird; und wie Kund*innen und Handel interagieren, Stichwort Konnektivität.

Interview: Katharina Hummert
Foto: Gisela Schober/Getty Images

Dieses Interview wurde erstmals in der UNTERNEHMERIN (2022/2) veröffentlicht.