Pressemeldung Wirtschaft & Arbeit

Offener Brief: Sofortprogramm sollte auch sofort greifen!

Deutschland im Ausnahmezustand. Während aufgrund der Corona-Pandemie das öffentliche Leben weitgehend heruntergefahren wurde und die Wirtschaft ebenfalls zum Stillstand gekommen ist, haben sowohl der Bund als auch die Länder eine Fülle an Maßnahmen ergriffen, die die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen dieses Stillstandes auffangen sollen.

Bei allem Dank und Respekt für die sehr zügig auf den Weg gebrachten Maßnahmen stellen die Unternehmerinnen des VdU leider fest, dass „gut gemeint“ nicht auch automatisch „gut gemacht“ bedeutet.

Das oberste Ziel sollte in der jetzigen Situation sein, den Unternehmen in Deutschland das Überleben zu ermöglichen. Denn es geht nicht mehr nur um Umsatzrückgänge, sondern um die Stilllegung ganzer Branchen und einen mindestens mehrwöchigen kompletten Produktions- und Handelsstillstand. Die Unternehmen stehen vor der problematischen Situation, sämtliche Kosten – insbesondere die Lohnkosten – sowie Mieten, Versicherungen und Kapitaldienste bedienen zu müssen, ohne derzeit Umsätze generieren zu können. Die Existenz einer nicht unerheblichen Zahl an Unternehmen steht auf dem Spiel!

Der Ruf nach Einsatz von Eigenkapital und Reserven ist wenig zielführend, denn gut wirtschaftende prosperierende Unternehmen haben in der Regel ihre Gewinne für Investitionen oder die Schaffung neuer Innovationen aufgewendet. Dieses Geld steht also gar nicht als liquide Mittel zur Verfügung.

Folgerichtig hat der Bundestag ein auf den ersten Blick umfangreiches Maßnahmenpaket auf den Weg gebracht, das wir ausdrücklich begrüßen.

Der Teufel steckt jedoch wie immer im Detail. Wir richten uns mit diesem Schreiben daher an die handelnden Akteure und appellieren, jene Hemmnisse innerhalb dieser Maßnahmen zu beseitigen, die verhindern, dass Hilfen schnell und unbürokratisch abgerufen werden können! Das Überleben der meisten insbesondere kleinen und mittelständischen Unternehmen wird entscheidend davon abhängen, ob und wie schnell die Hilfen bei ihnen ankommen. 

Wir kommen für die einzelnen Hilfsmaßnahmen der Bundesregierung zu folgenden Bewertungen:

  1. Kurzarbeitergeld (KuG): Die Herabsetzung der Beantragungskriterien für das Kurzarbeitergeld (mindestens 10% der Mitarbeitenden und mindestens 10% Umsatzausfall) ist ein guter und richtiger Schritt. Jedoch weist die Agentur für Arbeit explizit darauf hin, dass, anders als sonst, zur Deckung der Minderstunden zunächst vorrangig kein laufender Urlaub zu nehmen sei, wohl aber der noch eventuell vorhandene Resturlaub aus dem Vorjahr! Wenn Resturlaube vorhanden sind und vorrangig genommen werden müssen, werden die Lohnkosten in dieser Zeit aber noch nicht von der Agentur übernommen, sondern müssen in Gänze vom Arbeitgeber entrichtet werden. Notwendig wäre, Resturlaube aus dem Vorjahr einzufrieren, um sie nach der Krise zu nehmen.

    Das Kurzarbeitergeld kann außerdem nicht für Minijobber beantragt werden. In vielen derzeit betroffenen Branchen (Gastronomie, Hotellerie, Veranstaltungen, Friseure, Reinigungs-Firmen u. a.) arbeiten jedoch im Wesentlichen Minijobber. Jene Firmen werden für die Lohnkosten dieser Angestellten keine Kompensation bekommen. Die Folgen werden Betriebsschließungen einerseits und Entlassung von Mitarbeitenden andererseits sein.

    Das Kurzarbeitergeld wird erst nachträglich an den Arbeitgeber gezahlt. Dieser muss also in Vorleistung für die Löhne und für die Sozialabgaben gehen, was angesichts nicht vorhandener liquider Reserven kaum gelingen wird.
     
  2. Soforthilfe-Zuschüsse für Soloselbständige und Kleinstbetriebe: Das Nadelöhr dieser an sich sinnvollen Maßnahme wird die Bearbeitungs- und Auszahlungszeit sein. Die Zuständigkeit liegt hier bei den Ländern. Es bleibt zu hoffen, dass eine schnelle Auszahlung nicht an bürokratischen Anträgen und fehlenden Prüfkapazitäten scheitert.

    Problematisch kann sich die eingebaute Regel erweisen, die besagt, dass überschüssige Beträge nur dann auf zwei weitere Bezugsmonate anwendbar seien, wenn der Vermieter einer Mietminderung in Höhe von mindestens 20% zugestimmt hat. Die komplette Ausschöpfungsmöglichkeit wird also an die Bedingung geknüpft, dass der Vermieter ebenfalls einen Anteil zur Liquiditätsverbesserung des Unternehmens beiträgt. Dies dürfte jedoch nicht immer abbildbar sein.

    Außerdem sollen die gezahlten Zuschüsse (9.000 für Betriebe mit bis zu 5 Vollzeitbeschäftigten und 15.000 für jene mit bis zu 10 Vollzeitbeschäftigten) im Folgejahr als steuerlich gewinnwirksam Berücksichtigung finden und somit wie eine Einnahme behandelt werden. Da jedoch davon auszugehen ist, dass auch im Folgejahr aufgrund geringerer Kaufkraft, Konsumzurückhaltung und einer Verschlechterung des Arbeitsmarktes die Ergebnisse der Unternehmen entsprechend gering ausfallen, ist eine Bewertung von Zuschüssen als zu versteuernde Einnahme ein Beitrag zur weiteren Reduzierung des Jahresergebnisses und schwächt kleine Unternehmen in ihrer Wirtschaftsleistung.

    Eine Ausweitung des Soforthilfe-Programms auf weitere Monate ist angesichts der geringen Zuschusshöhe und einer länger andauernden Ausnahmesituation dringend angezeigt, um das Überleben der Unternehmen zu sichern!
     
  3. Kreditprogramme: für mittelständische Betriebe sowie für große Betriebe sind KfW-Unternehmenskredite in Kombination mit Bürgschaften bis zu 80% der Kapitalsumme durch die entsprechenden Bürgschaftsbanken vorgesehen. Die Verzinsung der Kredite ist niedrig und eine Tilgungsaussetzung für das erste und unter Umständen zweite Jahr ist möglich.

    Kritisch zu hinterfragen ist das Instrument „Kredit“. Denn ein Kredit verbessert zwar vorübergehend die Liquidität, trägt aber letztlich zu einer Verschuldung bei und das in einer Phase, in der keine Umsätze erwirtschaftet werden.

    Außerdem darf kritisch gesehen werden, dass die Beantragung dieser Maßnahme über die Hausbank erfolgen muss, die wiederum wie gewohnt Rating-konform und restriktiv die Frage der Sicherheitsleistung des Antragstellers betrachten wird und bedingt durch derzeitig sinkende Bonitäten eher zu ablehnenden Bescheiden kommen wird. Die Erfahrung der letzten Tage mit bereits aktiv gewordenen Antragstellern zeigt, dass die von den Banken eingeforderten Unterlagen (tagesaktuelle BWAs, Liquiditätspläne und Gewinnprognosen für die nächsten zwei Jahre) weder abbildbar sind, noch zu einem schnellen und unbürokratischen Verfahren beitragen.

    Eine Mittelabrufung durch die Hausbank als prüfende Zwischeninstanz zwischen Antragsteller und KfW erschwert zudem den Prozess durch Bürokratie und führt unseres Erachtens zu Zeitverzögerungen, die in der derzeitigen Situation sehr problematisch sind.
     
  4. Stundungen bei Steuern und Sozialabgaben: Tatsächlich würden Stundungsmöglichkeiten sowie Herabsetzungen der Vorauszahlungen von Unternehmenssteuern aufgrund von Umsatzeinbrüchen wirksam das Überleben der Betriebe begünstigen.

    Trotz Nennung dieser Möglichkeiten durch die Bundesregierung ist jedoch keine Rechtssicherheit gegeben. Die Finanzämter können hierbei wohlwollend agieren, sie müssen es aber nicht. Die Erfahrung der letzten Tage zeigt, dass auch hier die Behörden möglicherweise eher restriktiv prüfen und keinen Stundungen oder Vorauszahlungsverringerungen zustimmen. Hier muss dringend für Rechtssicherheit und klare Kriterien gesorgt werden.

    Auch eine Aussetzung der Vorfälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge wäre ein geeignetes Instrument zur Krisenüberbrückung. Aber auch hierbei hat die Regierung auf die Möglichkeit der Stundung verwiesen. Der GkV-Spitzenverband hat jedoch bereits deutlich gemacht, dass eine Stundung erst möglich sei, wenn vorrangig alle anderen Maßnahmen wie Kurzarbeitergeld, Zuschüsse und Kredite beantragt wurden und nicht wirksam werden konnten. Hier ist also eine Stundung an Bedingungen geknüpft, die das Prozedere erschweren, verlangsamen und für Unsicherheiten Seitens der Antragsteller sorgen werden.
     
  5. Grundsicherung: Sämtliche oben genannten Hilfsmaßnahmen sollen im Kern der Sicherung und dem Erhalt der Unternehmen dienen. Eine Existenzsicherung für die Unternehmer*innen beinhalten sie jedoch nicht. Hierfür hat die Bundesregierung das Instrument der Grundsicherung avisiert und sichergestellt, dass eine Vermögensprüfung für die ersten sechs Monate nicht stattfindet und die Wohnungsmiete ohne entsprechende Prüfung und Beanstandung aufgrund etwaig abweichender Größe übernommen werden soll. Die Erfahrung der antragstellenden Personen zeigt jedoch, dass die bearbeitenden Ämter eine sehr detaillierte und intensive Prüfung vornehmen. Eine schnelle Bearbeitung für die existenzielle Hilfe ist nicht möglich. Außerdem wird, wie sonst auch, eine genaue Prüfung der Hausgemeinschaft vorgenommen, um etwaige Ansprüche bei Vorhandensein von Bewohnern mit Einkommen ablehnen zu können. Auch wenn klar ist, dass eine Vermeidung von Mitnahmeeffekten erreicht werden soll, ist fraglich, ob man Unternehmer*innen, die jahrelang Betriebe geleitet haben und nun unverschuldet ihrer Existenzbestreitung beschnitten wurden, ein generelles Misstrauen entgegenbringen sollte. 

Mit den bisher von Bund und Ländern auf den Weg gebrachten Wirtschaftshilfen wurden wichtige Schritte eingeleitet. Damit diese als Liquiditätshilfen tatsächlich bei den Unternehmer*innen ankommen, ist es umso wichtiger, dass bei den Details nachgebessert wird und die Prozesse der Antragsstellung und Genehmigung rasch optimiert werden.

Die durch die Corona-Pandemie entstandenen Krise ist natürlich in erster Linie eine Gesundheitskrise. Aber sie hat sich bereits jetzt zu einer Wirtschaftskrise entwickelt. Lassen Sie uns alle Kraft aufwenden, dass daraus nicht auch eine soziale Krise wird.

Mit freundlichen Grüßen 

Jasmin Arbabian-Vogel

Offener Brief als PDF.