UNTERNEHMERIN

Perspektivwechsel im Gesundheitswesen

Ein Gesundheitssystem kann nur dann funktionieren, wenn es aus Patientensicht aufgebaut ist, sagt Dr. Sophie Chung. Die Konsequenz: Ihr Unternehmen Qunomedical entwickelt innovative Softwarelösungen, um diese Transformation bei Gesundheitsanbietern voranzutreiben.

Innovation im Gesundheitswesen braucht Digitalisierung“, sagt Sophie Chung. Sie muss es wissen: Seit 2016 mischt die promovierte Ärztin und ehemalige McKinsey-Beraterin mit neuen digitalen Lösungen den Gesundheitsmarkt auf. Aus persönlicher Frustration habe sie sich damals für das Unternehmertum entschieden, „sowohl aus der Sicht als Ärztin wie auch aus der einer Patientin oder Angehörigen“. Mit dem Ziel, jede*r Patient*in die beste Versorgung zu ermöglichen, gründete sie die Plattform Qunomedical. Diese bringt Patient*innen und Kliniken zusammen und unterstützt beim Ablauf der Behandlung durch persönliche Betreuer*innen, die per E-Mail oder Telefon die „Patient Journey“ begleiten. Für die Patient*innen ist die Gesundheitsplattform kostenlos, die Monetarisierung erfolgt durch die teilnehmenden Kliniken. Heute bietet die Gesundheitsplattform ein festes Portfolio an Behandlungen – darunter ästhetische Eingriffe und Zahnersatz – in Zusammenarbeit mit einem ebenso festen Stamm an Kliniken an. Und Sophie Chung verfolgt inzwischen ein duales Geschäftsmodell: 2021 hat sie die Softwarelösung Qunosuite an den Markt gebracht. „Es war ein Meilenstein, ein echter Switch“, sagt die Unternehmerin, „vom zusätzlichen Player im Gesundheitsmarkt zu einem Anbieter, der zusammen mit den Playern die Transformation des Gesundheitswesens vorantreibt.“

Als Ärztin helfen zu können, sei ihre Berufung gewesen, sagt Sophie Chung. Dass sie sich für das Unternehmertum entschieden habe, „war nie eine Entscheidung gegen die Medizin, sondern es war immer die Entscheidung für etwas anderes“. Nach ihrer Promotion an der Medizinischen Universität Wien 2008 arbeitete sie für einige Monate in einer Klinik im australischen Brisbane. „Ich habe damals erkannt, dass Patientenprobleme globaler Natur sind, dass die Gesundheitssysteme überall aus Sicht der Anbieter gebaut werden“, sagt Chung. Als praktizierende Ärztin kann sie daran wenig ändern, das weiß sie. Doch genau das möchte sie – und wechselt deshalb zur Unternehmensberatung McKinsey, wo sie tief in den globalen Gesundheitsmarkt eintaucht. Fünf Jahre lang bleibt sie dort. Die nächste Station ist Zocdoc, das US-amerikanische Pendant zur deutschen Arzttermin-Buchungsplattform doctolib, mit Sitz in New York City. Als Director of Healthcare Strategy erlangt Chung dort weitere wertvolle Insights. Aus vielen Puzzleteilen entsteht so eine Vision – und Sophie Chung beschließt zu gründen. Allerdings nicht in den USA, sondern in Berlin. „In Deutschland hatte ich bereits die ersten Investor*innen“, begründet die CEO von Qunomedical ihre Entscheidung.

Die größte Herausforderung beim Gründen sei das Gründen selbst gewesen: „Es ist gar nicht der Mut, es ist das Durchhalten.“ Sie habe sich gefühlt wie bei einem „Marathonlauf, bei dem du sprintest“. Für ein risikokapitalfinanziertes Unternehmen sei der Wachstumsdruck enorm. „Diese Geschwindigkeit aufrechtzuerhalten, sich dabei selbst weiterzuentwickeln, genau wie das Team und das Produkt, dabei zu wachsen und besser zu werden – das ist gar nicht so einfach.“ Angst vor dem Scheitern habe sie nicht, Misserfolge gehören für Sophie Chung genauso dazu wie der Erfolg. „Ich glaube, was Unternehmer*innen von anderen Menschen unterscheidet, ist dieser grenzenlose Optimismus. Und dass man immer wieder einen Weg findet, eine Lösung.“ Zudem beobachte sie eine Veränderung in der Beurteilung von digitalen Geschäftsmodellen: „Das Mindset hinter dem Thema Digitalisierung hat sich geändert. Als wir starteten, wollte niemand darüber sprechen, es war das große Angstthema. Inzwischen sind viele Entscheider*innen an dem Punkt angelangt, wo sie erkennen: Ohne Digitalisierung geht es nicht. Jetzt müssen wir ins Doing kommen, da sind wir noch nicht.“

Ein wichtiger Schritt zum „Doing“ seien deshalb innovative Lösungen wie Qunosuite. „Patients First ist unser höchster Unternehmenswert“, sagt Sophie Chung, „das haben wir schon mit unserer Gesundheitsplattform bewiesen, auf der wir bis jetzt mehr als 6500 Patient*innen mit Kliniken und Ärzt*innen zusammengebracht haben.“ Während der Coronazeit seien digitale Tools für die Patient Journey im Krankenhaus wichtiger geworden. „Es kamen immer mehr Anfragen von Krankenhäusern, ob wir die Software, die wir auf unserer Plattform nutzen, auch als White Label anbieten.“ Das sei der Startpunkt für das B2B-SaaS-Produkt Qunosuite gewesen: „Es ist eine CRM-Lösung für Krankenhäuser, könnte man sagen.“ Mit Qunosuite positioniert sich ihr Unternehmen als digitaler Partner, der dazu beiträgt, ein patientenzentriertes Gesundheitssystem aufzubauen. „Wir sagen nicht, dass unser Produkt eine riesige Erfindung ist. Innovation findet bei uns in kleinen Schritten statt, in diesen berühmten 0,1-Prozent-Punkten, die zu einer Verbesserung führen.“

Doch eine erfolgreiche Transformation macht Sophie Chung nicht nur an Innovationen fest. Auch politische Entscheidungen könnten zum Katalysator werden: „Wie kann es sein, dass ein Land wie Deutschland mehr als 100 Gesundheitsversicherungen braucht, die alle de facto das Gleiche tun? Warum wird das nicht hinterfragt?“ Die beiden Systeme der gesetzlichen und der privaten Gesundheitsversicherung komplett zu verschmelzen, darin sieht sie keinen Sinn. Wohl aber darin, ein jedes für sich zu konsolidieren. „Der Geldfluss sollte Teil dieser Konsolidierung sein, denn damit konsolidiert man auch die Daten.“ Weiteres Optimierungspotenzial sieht die CEO von Qunomedical in einer Neudefinition des Incentive-Systems der Krankenhäuser. „Dass wenig Interesse an einer Patientenzentrierung oder Patient Experience besteht, ist kein Wunder – eine Änderung der Ausrichtung wird nicht bezahlt. Ob ein*e Patient*in gute Erfahrungen macht oder nicht, kann dem Krankenhaus egal sein, an der Vergütung ändert sich nichts. Hier sehe ich einen Hebel.“

Sophie Chungs leidenschaftliche Plädoyers bleiben nicht ungehört, sie zählt zu den bekanntesten und einflussreichsten Frauen der deutschen Medtech-Szene. Dass sie für viele Gründerinnen und Unternehmen eine Vorbildfunktion hat, ist ihr bewusst, gibt ihr jedoch noch lange nicht das Gefühl, sich auf ihren Erfolgen ausruhen zu können. „Ich finde nichts schlimmer als ein überschätztes Selbstbewusstsein“, sagt Chung, „man sollte immer mit einer gesunden Portion Bescheidenheit an ein Thema herangehen und sich selbst hinterfragen.“ Den Wunsch nach Vorbildern könne sie verstehen, sie hätte sich als junge Frau auch Orientierung durch Role Models gewünscht. „Unternehmerin zu sein ist kein Einzelsport“, sagt Sophie Chung, „es ist ein Teamsport, wo eine an der Spitze steht und die Verantwortung übernimmt. Es gehören so viele Menschen dazu, die dich unterstützen, die im richtigen Moment die richtige Nummer wählen. Es gehört Glück dazu, Resilienz, ein großes Ziel. Auch das möchte ich vermitteln.“

Die nächsten Steps für Qunomedical sieht Sophie Chung in kommerziellem Wachstum und internationaler Expansion. Auch in die Optimierung der Softwarelösung soll investiert werden. „Am wichtigsten bei allen Vorhaben ist mir, dass wir unserer Mission und unserem Produkt treu bleiben.“ Sie möchte Krankenhäuser an den Stellen digitalisieren, wo es Sinn macht – und nur dort: „Damit die Menschen da, wo sie unersetzlich sind, mehr Zeit haben für ihre Patient*innen. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass Menschen immer von Menschen behandelt und immer von Menschen berührt werden möchten. Ich möchte meinen Beitrag dazu leisten, dass das in Zukunft möglich ist – und besser als heute.“ In einer solchen Welt, sagt Sophie Chung, könne sie sich sogar vorstellen, wieder als Ärztin zu arbeiten.

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ZUR PERSON

Dr. Sophie Chung studierte Sinologie, Philosophie sowie Humanmedizin und promovierte 2008 an der Medizinischen Universität Wien als Doctor of Medicine (M.D.). Während ihrer Tätigkeit als Ärztin war sie mit den Schwächen des Gesundheitssystems konfrontiert und gründete als Antwort darauf das Gesundheitsunternehmen Qunomedical mit Sitz in Berlin. Das erste Produkt des Unternehmens, eine Gesundheitsplattform, bringt Patient*innen und Kliniken zusammen und will damit den Zugang zu bester medizinischer Versorgung niedrigschwellig gestalten. Mit dem zweiten Produkt Qunosuite, einer SaaS-Softwarelösung für das Patientenbeziehungsmanagement, unterstützt Chung Krankenhäuser bei der Transformation zum patientenzentrierten Gesundheitsanbieter. Ende 2022 konnte Qunomedical in einer Series-A-Runde zehn Millionen Euro Fremdkapital einsammeln. Das Unternehmen beschäftigt mehr als 70 Mitarbeiter*innen.

Text: Christian Bracht
© Norman Konrad

Dieser Beitrag wurde erstmals in der UNTERNEHMERIN 01/24 veröffentlicht.