UNTERNEHMERIN

Die Gründerszene weiblicher machen

Gründerinnen im Fokus: Die Start-up-Strategie der Bundesregierung ist das Thema von Dr. Anna Christmann. Die Beauftragte des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz für die digitale Wirtschaft und Start-ups zeigt auf, von welchen Maßnahmen Gründerinnen profitieren.

Frau Dr. Christmann, Sie sind Beauftragte des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) für die digitale Wirtschaft und Start-ups, beide sind wichtige Motoren der Wirtschaft und Transformation, vor der Deutschland steht. Wie unterstützt die Bundesregierung insbesondere Gründerinnen und Unternehmerinnen?

Im Mai dieses Jahres haben wir den Aktionsplan „Mehr Unternehmerinnen für den Mittelstand“ veröffentlicht, um Frauen das Gründen von Unternehmen zu erleichtern und Mädchen für Klima- und Handwerksberufe zu begeistern. Der Aktionsplan umfasst mehr als 40 Maßnahmen von Bundesministerien, Wirtschaftsverbänden und Netzwerken. Wir treffen uns regelmäßig, um die Fortschritte zu besprechen, und nehmen eine große Dynamik und Aufbruchstimmung der Beteiligten wahr – sie setzen alles daran, dass mehr Frauen in Deutschland ihr eigenes Unternehmen gründen. Ich freue mich, dass sich auch der VdU in den Aktionsplan eingebracht hat und es darüber hinaus mit dem vom BMWK geförderten Modellprojekt „she succeeds – Mehr weibliche Nachfolge!“ Impulse für Nachfolgegründungen durch Frauen gibt. Auch bei Start-up-Gründungen setzen wir uns für mehr Diversität ein. Ganz konkret haben wir beispielsweise im Juni 2023 das Förderprogramm EXIST-Women gestartet. Damit unterstützen wir gründungsinteressierte Hochschulabsolventinnen und Studentinnen unter anderem mit Mentoring und Coaching dabei, ihre Unternehmerinnenpersönlichkeit und ihre Gründungsidee weiterzuentwickeln.

Das Gründungsgeschehen in Deutschland stagniert, ist seit einiger Zeit sogar rückläufig. Wie will die Bundesregierung das Gründen wieder attraktiver zu machen? Was wünschen Sie sich persönlich für die Gründungslandschaft, und welche Rolle spielt für Sie die grundsätzliche Wertschätzung von Unternehmertum in Deutschland?

In der Tat gibt es bei den Gründungszahlen einen langjährig rückläufigen Trend, auch wenn 2021 für wachstumsorientierte Start-up-Gründungen ein Rekordjahr war. Um dem insgesamt jedoch zurückhaltenden Trend für Unternehmensgründungen entgegenzuwirken, unterstutzt die Bundesregierung Neu- und Nachfolgegründungen mit ganz verschiedenen Maßnahmen. Dazu zählen finanzielle Instrumente wie zinsverbilligte Darlehen oder Zuschüsse, aber auch Informations-, Beratungs- und Vernetzungsangebote. Mit dem BMWK-Existenzgründungsportal stellen wir beispielsweise umfangreiche Informationen rund um das Thema Gründung bereit. Die gemeinsam von KfW und BMWK initiierte Gründerplattform bietet  Gründungsinteressierten besonders in der Planungsphase digitale Unterstützung. Außerdem koordinieren wir den Initiativkreis „Unternehmergeist in die Schulen“, der jungen Menschen die Chancen unternehmerischer Selbstständigkeit naherbringen will. Er bündelt bundes- und landesweite Aktivitäten, Initiativen und Projekte, um Unternehmergeist und ökonomisches Wissen an Schulen zu verbreiten.

Die Start-up-Strategie der Bundesregierung ist nun ein Jahr alt. Welche Zwischenbilanz ziehen Sie, und wo liegen die noch anzugehenden Prioritäten?

Ich bin sehr zufrieden damit, wie zugig die Regierung bei der Strategieumsetzung vorgeht. In nur einem Jahr konnten wir bereits 45 Prozent der geplanten Maßnahmen verwirklichen, darunter auch zentrale Punkte in den Bereichen Finanzierung und Talentgewinnung – und das in einer herausfordernden Zeit. Im September haben wir dazu einen Monitoringbericht veröffentlicht, in dem wir transparent machen, wo wir bei den einzelnen Maßnahmen stehen (startupstrategie.bmwk.de). Derweil arbeiten wir mit Hochdruck an der Umsetzung weiterer wichtiger Maßnahmen wie dem Vergabetransformationspaket oder dem Reallabore-Gesetz. Anhand von Praxischecks wollen wir Bürokratie bei Neu- und Nachfolgegründungen abbauen. Außerdem geht noch in diesem Jahr ein weiteres Modul des zehn Milliarden Euro schweren Zukunftsfonds an den Start. Es richtet sich an weibliche und diverse Teams, die als „emerging manager“ erstmalig einen Wagniskapitalfonds verwalten. Ziel ist, den Wagniskapitalmarkt und damit auch die Gründerszene weiblicher und diverser zu machen. Wir entwickeln den Zukunftsfonds kontinuierlich weiter und wollen künftig noch starker in ausgewählte Innovations- und Transformationsbereiche investieren, zum Beispiel künstliche Intelligenz oder Climate-Tech.


Im März 2023 haben Sie eine Zeitenwende in der Innovationspolitik ausgerufen und auf die Bedeutung der „Zukunftsstrategie Forschung und Innovation“ verwiesen. Im Herbst hat das „Forum Zukunftsstrategie“ seine Arbeit aufgenommen, um die Bundesregierung bei der Umsetzung zu beraten. Was erwarten oder erhoffen Sie sich von Strategie und Forum?

In der Zukunftsstrategie sind rund 200 Ziele in sechs zukunftsweisenden Missionen formuliert, beispielsweise in der Mission „Gesellschaftliche Resilienz, Vielfalt und Zusammenhalt starken“. Anhand einer Bestandsaufnahme der Ressorttätigkeiten erhoffe ich mir  Verbesserungsvorschlage, Anregungen zu Ergänzungen oder auch Bestätigung, in welchen Punkten wir auf dem richtigen Weg sind. Insgesamt zielt alles darauf ab, die Forschungs- und Innovationspolitik der Bundesregierung zu
verbessern und noch zielgenauer auszurichten. Seit September begleitet das externe Beratungsgremium „Forum Zukunftsstrategie“ die Umsetzung mit mehr als 20 Expert*innen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Neu sind aus meiner Sicht vor allem der breite, ressortübergreifende Ansatz und der Austausch, welche ich sehr befürworte.

Sie sind nicht nur Beauftragte für digitale Wirtschaft und Startups, sondern auch Koordinatorin der Bundesregierung für Luft- und Raumfahrt. Welche politischen Initiativen verfolgen Sie, damit Frauen in MINT-Berufen wie der Luft- und Raumfahrtbranche gleichen Zugang zu Ressourcen haben wie Männer?

Mit der BMWK-Initiative „FRAUEN unternehmen“ ermutigen wir Frauen, ein Unternehmen zu gründen, und versuchen, sie für MINT-Berufe zu begeistern. Deutschlandweit sind mehr als 230 ehrenamtliche Vorbild-Unternehmerinnen im Einsatz, die an Schulen, Universitäten und auf Veranstaltungen von ihrem Werdegang berichten. Das reicht von der erfolgreichen
IT-Unternehmerin, die für ihren Techberuf brennt, bis hin zur Bauingenieurin, die ihren Beschäftigten schon vor der Coronapandemie familienfreundliche Arbeitsbedingungen und Homeoffice ermöglicht hat. Zum Girls’ Day 2024 wollen wir rund 100 Schülerinnen zu Workshops einladen, in denen sie gemeinsam mit Vorbild-Unternehmerinnen Ideen im Bereich MINT und Unternehmerinnentum entwickeln. Ein MINT-Bereich, dem ich mich besonders verbunden fühle, ist die Luft- und Raumfahrt. Mit verschiedenen Maßnahmen setzen wir uns auch dort für mehr Frauen auf allen Ebenen ein. Das ist erklärtes Ziel der gerade veröffentlichten Raumfahrtstrategie.
Eine wichtige Rolle spielen auch hier Vorbilder wie Nicola Winter und Amelie Schoenenwald, die im vorigen Jahr als erste deutsche Frauen in die ESA-Astronautenreserve eingetreten sind.

Welchen Ratschlag haben Sie für Frauen, die in MINT-Bereiche einsteigen wollen?

Einfach machen! Im MINT-Bereich gibt es viele spannende Berufsbilder wie die Elektrotechnikmeisterin, die Solaranlagen und Wärmepumpen installiert, sich vor Auftragen kaum retten kann und nebenbei noch einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leistet. Gerade Frauen interessieren sich dafür, mit ihrer beruflichen Tätigkeit einen positiven Beitrag für die
Gesellschaft und Umwelt zu leisten. Ein sinnstiftender Beruf, mit dem man Gutes bewirken kann, ist der beste Kompass für die Berufswahl. Außerdem ist die Bezahlung gerade in sogenannten Green Jobs überdurchschnittlich gut. Zuletzt wurde ich empfehlen, sich zu vernetzen und erfahrene Frauen im MINT-Bereich anzusprechen oder anzuschreiben. Viele der Vorbild-Unternehmerinnen berichten, dass sie in jungen Jahren gern eine Mentorin gehabt hatten und sich nun freuen, ihre Erfahrung an den Nachwuchs weiterzugeben.

___

ZUR PERSON 

DR. ANNA CHRISTMANN ist Koordinatorin der Bundesregierung für die Deutsche Luft- und Raumfahrt sowie Beauftragte des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz für die digitale Wirtschaft und Start-ups. Zudem ist sie Mitglied im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschatzung und dort Berichterstatterin für Innovations- und Technologiepolitik. Die studierte Politikwissenschaftlerin ist seit 2017 Mitglied im Deutschen Bundestag. Sie vertritt Bündnis 90/Die Grünen, ihr Wahlkreis ist Stuttgart II. Anna Christmann ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Interview: Inken Patermann
Foto: (c) Deutscher Bundestag Inga Haar

Dieses Interview wurde erstmals in der UNTERNEHMERIN 02/23 veröffentlicht.