UNTERNEHMERIN

Ein guter Plan

Anna Weber ist geschäftsführende Gesellschafterin von BabyOne. Gemeinsam mit ihrem Bruder übernahm sie 2019 die Geschäftsführung von ihren Eltern. Um den Generationswechsel konsequent zu vollziehen, musste die Unternehmerfamilie ihre Komfortzone verlassen. Das ist allen Beteiligten gelungen.

Nachfolge ist nichts, was einfach so passiert“, sagt Dr. Anna Weber. „Es ist ein Prozess, den die Generationen offen miteinander verhandeln müssen, bei dem es Regeln gibt. Nur dann sind später alle zufrieden.“ Die Unternehmerin weiß, wovon sie spricht: Gemeinsam mit ihrem Bruder Dr. Jan-Willem Weischer stieg die Betriebswirtschaftlerin im August 2017 in das Familienunternehmen ein, seit September 2019 verantworten die Geschwister als geschäftsführende Gesellschafter*innen den wirtschaftlichen Erfolg der Baby- und Kleinkind-Fachmarktkette BabyOne. Das elterliche Unternehmen fortzufuhren sei erst spät der Plan gewesen, sagt Anna Weber. Zunächst macht sie Karriere im Kommunikationskonzern Vodafone in Düsseldorf, wo sie im HR-Bereich als Projektmanagerin Leadership, Talent & Engagement tätig ist. Ihr Bruder arbeitet zu der Zeit als Rechtsanwalt. „Wenn Kinder kommen, verändert sich vieles“, sagt die Chefin von BabyOne. „Ich bin zwar nach der Elternzeit bei Vodafone wieder eingestiegen, aber es fühlte sich nicht mehr richtig an. Ich wollte mehr Gestaltungsfreiraum haben, wollte einen eigenen Fußabdruck hinterlassen. Meinem Bruder, der ebenfalls ein kleines Kind hatte, ging es ähnlich.“

Die Eltern reagieren überrascht auf den Vorschlag, denn sie haben eigene Pläne – und in denen kommen ihre Kinder als operative Nachfolger*innen nicht vor: „Bei vielen Unternehmerfamilien werden die Kinder auf die Nachfolge vorbereitet, das war bei uns nie ein Thema“, sagt Anna Weber.      „Meinen Eltern war es immer wichtig, dass wir unsere eigenen Vorstellungen vom Berufsleben verwirklichen können.“ Das Gespräch über die Weitergabe des Staffelstabs innerhalb der Familie markiert den Startpunkt eines Prozesses, der mehrere Jahre in Anspruch nehmen wird. „Wir haben die Nachfolge wie ein Projekt geplant und umgesetzt, die Themen runtergebrochen bis zu der Frage, in welcher Position wir bei BabyOne einsteigen würden.“ Nach anderthalb Jahren fachlicher Verantwortung im Bereich Unternehmensentwicklung und Recht, in denen die Geschwister die verschiedenen Bereiche des Unternehmens kennenlernen, werden Anna Weber und Jan-Willem Weischer als Geschäftsführer*innen bestellt. „An unserem ersten Tag haben uns die Eltern gesagt, wann ihr letzter Tag im Unternehmen sein wird“, stellt Anna Weber trocken fest, „und zwar vor allen – vor den Franchisenehmer*innen, vor den Mitarbeiter*innen. Sie wussten, aus der Nummer kommen sie jetzt nicht mehr raus.“ 

Der Wechsel der Geschäftsführung fällt mitten in die Coronakrise. „Mein Vater wurde oft darauf angesprochen, warum dieser Schritt gerade jetzt sein muss. Aber wir alle wollten Klarheit und Transparenz. Zu der Zeit war noch ein weiterer, externer Geschäftsführer in der Geschäftsführung tätig, es war von außen nicht einfach zu erkennen, wer für was die Entscheidungen trifft. Die Botschaft, dass ab Anfang 2021 nur noch Jan und ich die Ansprechpartner*innen sind, war uns sehr wichtig.“ Und die Geschwister verstehen es bestens, diese Aussage zu visualisieren: „An dem Tag, als der Möbelwagen kam und die Büroeinrichtung meiner Eltern in das Family Office in die Münsteraner Innenstadt brachte – wo es eins zu eins wieder aufgebaut wurde –, haben Jan und ich die Wand zwischen den Chefbüros eingerissen.“ Es entstehen exakt gleich große Räume mit Glasfronten zum Flur: „Wenn wir hier sind, wollen wir auch, dass die Leute das sehen und vorbeikommen, wenn sie ein Anliegen haben.“ 

Anna Weber sagt, sie bewundere ihre Eltern für ihre Haltung und Konsequenz: „Sie haben uns damit eine radikale Freiheit gegeben, deshalb können wir Unternehmer*innen sein.“ Dass der Generationswechsel so vorbildlich verlaufen sei, wie Anna Weber es nennt, hat neben der dezidierten Planung des Übergangs in ihren Augen noch einen weiteren Grund: Die Familie hat sich während des gesamten Prozesses coachen lassen. „Wir haben fast alle eine Ausbildung zum systemischen Coach gemacht, mein Vater hat sich zum Mediator ausbilden lassen. Wir wissen, wie wir andere Perspektiven einnehmen können. Aber wir sind auch Familie, und zwar eine harmoniebedürftige“, sagt die Unternehmerin. „Wir lernen, mehr in Konflikte zu gehen, weil das immens wichtig ist, um das bestmögliche Ergebnis zu erzielen.“ Was in der Familie funktioniert, hat auch seinen Platz bei BabyOne: „Alle Führungskräfte des Unternehmens haben ein systemisches Coaching gemacht, weil wir glauben, dass uns das gemeinsam weiterbringt.“ Und welche neuen Akzente setzt das Führungsduo Weber/Weischer? So einige, sagt Anna Weber, und nicht alles entwickle sich wie gedacht. Es gebe auch Entscheidungen, die revidiert werden müssten. 
Zum Beispiel die Aussicht auf komplett freies Arbeiten. „Work from anywhere“– das Konzept habe bei ihnen nicht funktioniert, sagt Anna Weber. Das Anfang 2022 eingeführte Programm, das allen Mitarbeiter*innen aus der Zentrale ermöglichen sollte, den Arbeitsort frei und ohne Kompromisse zu
wählen und bis zu 130 Tage im Jahr aus dem europäischen Ausland zu arbeiten, wurde im November dieses Jahres für gescheitert erklärt. Bei aller persönlichen Zufriedenheit der Mitarbeiter*innen hatten sich deutliche Defizite gezeigt, sagt Weber. Die abteilungsübergreifende Zusammenarbeit habe sich zunehmend verschlechtert, und neue Mitarbeiter*innen – insbesondere die Auszubildenden – hatten es schwerer gehabt, sich einzuarbeiten und zu vernetzen. Die Entscheidung hat die Unternehmerin in einem LinkedIn-Post geteilt, verbunden mit einem neuen Angebot. „Wir geben offen zu, wenn etwas nicht geklappt hat“, heißt es in der Nachricht, „aber wenigstens trauen wir uns was.“ 

Unternehmerischen Mut beweisen die Geschwister nicht nur im Familienunternehmen: Im März 2023 ging ELSA & EMIL an den Start. „Als BabyOne sind wir ein klassischer Händler. ELSA & EMIL dagegen ist eine eigene Produktentwicklung für den weltbesten Kinderwagen“, sagt Anna Weber. „Dazu haben wir die wichtigsten Anforderungen unserer Kund*innen in einem Produkt zusammengefasst.“ Die Entwicklung im engen Austausch mit einem Expert*innenteam auf der Fläche habe „wahnsinnig viel Spaß gemacht“, sagt die Unternehmerin. Zudem sei es gelungen, die anderen Hersteller früh ins Boot zu holen: „Wir waren da wieder sehr transparent und haben ihnen gesagt, wo der Weg hinfuhrt – nämlich nicht zu einem Monobrand-Store. Wir brauchen die anderen Marken.“ Auch mit dem wirtschaftlichen Erfolg ist sie mehr als zufrieden: Die Produkte von ELSA & EMIL gehörten bereits drei Monate nach dem Launch zu den Top 10 der meistgekauften Kinderwagen bei BabyOne. „Das zeigt, dass wir etwas richtig gemacht haben“, sagt Anna Weber, „denn wir bewegen uns hier auf einem Markt, bei dem starke Marken bereits etabliert sind. Und dann schafft es eine neue, unbekannte Marke aus dem Mittelpreissegment in dieses Top-Ranking.“ Den normalen Pfad zu verlassen, sich aus der Komfortzone herauszubewegen – das sei immer wichtig, nicht nur beim Generationswechsel, sondern
auch bei der Unternehmensstrategie. „Es ist ein Privileg für mich, beides machen zu dürfen – Familienunternehmen auf der einen und Start-up auf der anderen Seite“, sagt Anna Weber, „aber es ist mir auch bewusst, dass wir in einem ‚friendly environment‘ gegründet haben, mit ganz viel Wissen aus 35 Jahren BabyOne.“

Dass sie ihre Konzepte und Projekte in gleichberechtigter Geschäftsführung umsetzen könne, sei dagegen eine Selbstverständlichkeit für sie: „Meine Mutter hat BabyOne gemeinsam mit meinem Vater aufgebaut. Deshalb habe ich mir über weibliches Unternehmertum nie Gedanken gemacht. Ich habe es ja jeden Tag erlebt.“ Erst bei den ersten eigenen Schritten in ihrer beruflichen Laufbahn sei ihr aufgefallen, dass die Realität in den meisten Unternehmen „immer noch eine andere ist“. Das zu ändern steht ganz oben auf der To-do-Liste der ehemaligen HR-Managerin. Denn auch wenn der Frauenanteil bei BabyOne mit fast 70 Prozent für ein Handelsunternehmen hoch ist, spiegelt sich das noch nicht im Anteil von Frauen in Führungspositionen wider. „Noch nicht ganz“, sagt Anna Weber, und wer sie kennt, weiß: Sie hat einen Plan.

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ZUR PERSON: DR. ANNA WEBER ist das älteste von vier Kindern des Unternehmerehepaars Wilhelm und Gabriele Weischer. Den Grundstein ihrer Passion für Unternehmens- und Führungskultur legte Anna Weber in ihrem BWL-Studium in Köln und Mailand. Die Promotion über authentische Führung absolvierte sie im Anschluss an der FernUniversitat in Hagen am Institut für Führung und Organisation. Gemeinsam mit ihrem Bruder Dr. Jan-Willem Weischer trat sie 2017 in das elterliche Unternehmen ein. BabyOne ist ein Omnichannel-Unternehmen im Franchisesystem für Baby- und Kleinkindprodukte. Der Marktführer im Babyfachhandel mit Sitz im westfälischen Münster betreibt 103 Filialen in der DACH-Region, davon 76 über Franchisenehmer. Dazu kommt ein Onlineshop. Das Aufgabengebiet von Anna Weber umfasst die Bereiche Retail, Marketing, E-Commerce und Human Resources. Im September 2023 wurde sie von der Initiative „FRAUEN unternehmen“ als Unternehmerin des Jahres ausgezeichnet.

Text: Christian Bracht
Fotos: © Maximilian Mann

Dieser Artikel wurde erstmals in der UNTERNEHMERIN 02/23 veröffentlicht.