UNTERNEHMERIN

Früher an später denken

Viele Unternehmer*innen sind in einem Alter, in dem sie ihre Nachfolge dringend regeln müssen. Doch leider stehen nicht genügend Interessierte bereit. Wie das Projekt dennoch klappen kann, zeigen zwei Frauen, die es gewagt haben – sie erzählen von Chancen und Erfolgen.

Vor zweieinhalb Jahren hat Maria Wisler, Gründerin des Naturkosmetikunternehmens M. W. Internationale Naturprodukte GmbH, bekannt als marie w., ihr Unternehmen in neue Hände gegeben. 2007 hatte die Pionierin der dekorativen Naturkosmetik die Firma im nordrhein-westfälischen Velbert gegründet. Jetzt lebt sie im Ausland im wohlverdienten Ruhestand. Die neue Chefin ist seit Sommer 2021 Sonja Sironen. Schon 2016 war die heute 50-Jahrige im Betrieb beschäftigt, schnell wurden ihr Verantwortung und Prokura übertragen. 2019 fragte ihre langjährige Freundin, ob sie die Firma übernehmen wolle. „Ich sagte nach kurzer Überlegung zu“, so Sironen. Doch so reibungslos wie bei Wisler und Sironen lauft die Unternehmensübergabe nicht immer. Schon gar nicht, wenn der Nachfolger oder die Nachfolgerin von außen kommt. Genau das ist aber immer häufiger der Fall. Entweder hat der Unternehmer oder die Unternehmerin, wie Wisler, keinen Nachwuchs, oder dieser will nicht in die Fußstapfen der Eltern treten. Dr. Marc Evers, Nachfolgeexperte bei der DIHK und Autor
des DIHK-Reports „Unternehmensnachfolge 2022“, sagt, dass 36 Prozent der befragten Unternehmer*innen an ihre Kinder übergeben wollen, 17 Prozent an Mitarbeiter*innen, 47 Prozent an Externe. Nur gestaltet sich die Suche nach potenziellen Übernehmern*innen seit einigen Jahren immer schwieriger. „Die Coronapandemie hat das Interesse an der Übernahme eines Unternehmens gesenkt“, sagt Evers. Laut der Studie, der eine Befragung aller 79 IHKs zugrunde liegt, haben sich im Jahr 2021 nur noch 2159 Interessierte erkundigt, denen 6062 Senior-Unternehmer*innen gegenüberstanden. Zwei Jahre zuvor waren es mit 4302 rund doppelt so viele Interessierte gewesen – bei gut 7200 Übergabewilligen. Insbesondere an Frauen mangelt es.
Während rund 45 Prozent aller Gründer*innen weiblich sind, sind es bei Übernahmen nur ein Fünftel, sagt der DIHK-Experte: „Frauen haben in der Regel weniger Erfahrung und weniger Geld, um den Kaufpreis zu zahlen, als Manner.“ Frauen wurden die Familienplanung voranstellen, erst später an ein eigenes Unternehmen denken. „Zum Glück ändert sich das“, sagt Evers. „Aber leider nur langsam.“ Wenn doch jemand von außen oder aus der Belegschaft bereit ist, die Verantwortung zu übernehmen, scheitert es häufig an der Finanzierung. Laut dem DIHK-Report haben 41 Prozent aller potenziellen Nachfolger*innen Schwierigkeiten, das Kapital aufzutreiben. Auch in diesem Punkt ist Sonja Sironen mit ihrem Naturkosmetikunternehmen eine positive Ausnahme.
Obwohl sie 100 Prozent des Kaufpreises finanzieren musste, hat die Bank ihr das Darlehen gewahrt. Sie hatte sogar noch etwas draufgelegt. Denn als Sironen wenige Tage nach dem Kaufpreisfluss, den sie gemeinsam mit ihrer Vorgängerin im Ausland mit Champagner gefeiert hatte, in die Geschäftsraume kam, musste sie die Türen mit der Brechstange aufhebeln: Die Flut, die weite Teile der Gegend geschädigt hatte, hatte auch die Geschäftsräume von marie w. getroffen. Vor allem große Teile des Lagers waren im Schlamm versunken. Und das am allerersten Tag. 
Sironen rief die Bank an, diese versprach schnelle Hilfe. Vor allem aber half die neue Chefin sich selbst und spannte Mitarbeiter*innen und Freund*innen ein. Drei Wochen nach dem Chaos startete sie mit dem Versand der ersten Produkte. Sonja Sironen hatte Nerven wie Drahtseile. Aber nicht deswegen wurde ihr vor wenigen Wochen der Nachfolgepreis NRW verliehen. Sie erhielt die von der Bürgschaftsbank vergebene Anerkennung in der Kategorie „Beste Vorbereitung“. Ihre Vorgängerin hatte sich beraten lassen und Sironen gut eingearbeitet. Die aktuelle Chefin bestätigt: „Maria nahm mich früh zu allen Treffen mit Geschäftspartner*innen mit, damit wir uns kennenlernen.“ Es lauft also, wenn man will. Obwohl die Statistiken zeigen, dass bei der Nachfolge gerade in puncto Vorbereitung vieles im Argen liegt. Rund 190 000 Inhaber*innen planen bis Ende dieses Jahres, ihr Unternehmen an die nächste Generation zu übergeben, wie das „Nachfolgemonitoring Mittelstand 2022“ der KfW-Bankengruppe ermittelt hat. Doch die Übergeber*innen werden immer alter. Ein Drittel ist mindestens 60 Jahre alt. Genau das beurteilen Expert*innen kritisch. Laut Evers sollte man zehn Jahre, bevor die Übergabe stattfindet, mit den Vorbereitungen beginnen. Die ersten fünf Jahre gilt es, „das Unternehmen attraktiv für potenzielle Kandidat*innen zu machen, es zu modernisieren, zu digitalisieren, Fachkräfte zu gewinnen“. 
Schließlich will niemand in eine veraltete Firma einsteigen. Wisler hat auch diesen Part gemeistert. Als Sironen neu im Unternehmen war, modernisierte sie das Warenwirtschaftssystem. Damit war marie w. zukunftstauglich – und Wisler konnte Sonja Sironen mit gutem Gewissen als Nachfolgerin einsetzen. Andere Unternehmen haben nicht das Glück, Freund*innen oder Angestellte als Nachfolger*innen in petto zu haben. Sie müssen nach dem Aufhübschen der Braut daher mit der Suche nach einem Nachfolger oder einer Nachfolgerin beginnen. Dafür gibt es viele Möglichkeiten, wie etwa die überregionale Nachfolgebörse nexxt-change.org oder lokale Börsen und Zusammenkünfte. Dennoch ist es kein Kinderspiel, die passende Person zu finden. Meist müssen einige Anlaufe unternommen, etliche Gespräche geführt werden. Und selbst wenn ein*e Kandidat*in Aussicht steht, zieht sich die eigentliche Übernahme oft noch rund zwei Jahre hin. Eine Unternehmensübergabe ist nämlich ein komplexer Prozess, der in der Regel die Beratung von Fachleuten wie Steuerberater*innen, Rechtsanwalt*innen, Banken und Kammern einschließt. Vor allem die Kaufpreisfindung stellt sich häufig als zähes Unterfangen heraus. Auch bei marie w. war das anfangs nicht leicht. Sowohl Wisler als auch Sironen hatten einen Steuerberater beauftragt, der den Kaufpreis ermitteln sollte. „Am Ende hatten wir zwei Ergebnisse, die sehr weit auseinanderlagen“, sagt die heutige Geschäftsführerin. Also gingen die beiden Frauen einen unkonventionellen Weg. Sie gaben Wislers Steuerberater „den klaren Auftrag, als Mediator zu fungieren“. Die Idee klappte.
Der besonnene Herr fand gemeinsam mit den Damen einen Preis, der für beide passte. Er lag weit unter der eingangs von Wislers Berater fixierten Summe. „Mehr hatte ich finanziell schlicht nicht stemmen können“, sagt Sironen. Man müsse realistisch bleiben. Das gilt im Übrigen auch für andere Punkte. So sollten Übernehmern*innen die Anforderungen einer Übergabe nicht unterschätzen, so Evers. Die Seniorchef*innen wiederum mussten insbesondere emotional loslassen und akzeptieren, dass der oder die Neue einiges umkrempelt. 
Das hat auch Celina Kneiber gemacht, als sie 2022 gemeinsam mit ihrem Mann als Geschäftsführerin bei hyCleaner eingestiegen ist. Vorher war das Unternehmen vor allem im Projektgeschäft tätig. Seit der Nachfolgeregelung haben die Chefs die Reinigungsroboter für Solarpaneele, Glas und Fassaden in die Serienfertigung überführt. Laut Kneiber wurde der Schritt nie infrage gestellt. Dabei verblieb einer der Grunder und Geschäftsführer nach der Übernahme noch knapp zwei Jahre im Betrieb. „Es gab auch kein Kompetenzgerangel“, sagt die 31-Jahrige. Alle hatten das Potenzial einer Neuausrichtung erkannt. Kneiber, studierte Wirtschaftswissenschaftlerin, war froh, einen alten Hasen an Bord zu haben, der sich mit der Technik des Maschinenbauunternehmens auskennt. Sie sieht die Suche nach einem geeigneten Unternehmen als den schwierigsten Part an. Aber auch das könne man losen, sagt sie. Man müsse sich umhören. Am Ende gab die Hausbank den entscheidenden Tipp. Celina Kneiber appelliert daher an junge Leute, die wie sie nach dem Studium unternehmerisch tätig werden wollen, einen Betrieb zu übernehmen. „Warum selbst etwas Neues gründen, wenn es da draußen so viele tolle Firmen gibt, die auf gesunden Beinen stehen und eine*n Nachfolger*in suchen?“, sagt sie. Ihr Wunsch an die Politik: „Sie sollte nicht nur Neugründer*innen fordern, sondern nennenswerte Fördertöpfe für Übernehmer*innen bereitstellen.“

Interview: Sabine Hoelper 
© Michael Großler; hyCLEANER GmbH & Co. KG

Dieser Artikel wurde erstmals in der UNTERNEHMERIN 02/23 veröffentlicht.