UNTERNEHMERIN

Mein Leben nach dem Exit

Was tun, wenn man die eigene Firma verkauft? Weitermachen oder sich zur Ruhe setzen, die Füße hochlegen und den Reichtum genießen? Zwei Frauen, zwei Generationen. Beide kannten nur eine Antwort: weiter Vollgas geben.

Das eigene Unternehmen zu verkaufen ist wie die Kinder aus dem Haus ziehen lassen zu müssen“, sagt Viola Klein. „Man darf sie gelegentlich besuchen und ein Geschenk zur Hochzeit mitbringen. Aber sie leben ihr eigenes Leben.“ Ihre zwei Jungs hat sie schon vor langer Zeit ziehen lassen müssen, die beiden sind inzwischen 34 und 42 Jahre alt. Ihr anderes Baby hat die 65 Jahre alte Vollblutunternehmerin aus Dresden erst im vergangenen Jahr in die Eigenständigkeit entlassen: Die Saxonia Systems AG, ein Unternehmen für individuelle Softwareentwicklung, das sie 1992 zusammen mit ihrem Geschäftspartner Andreas Mönch gegründet hatte, verkaufte sie an den Technologiekonzern Zeiss.

Eine Atempause hat sie sich nach dem Exit nicht gegönnt. Sie selbst sagt: „Ich trete nur so viel kürzer, dass ich mit einem normalen Arbeitsaufwand auskomme.“ Normal, das heißt bei ihr: Nach wie vor ist sie beratend bei Zeiss tätig und Geschäftsführerin bei der Holding. Sie ist Mitglied im Hauptvorstand bei Bitkom, leitet – seit 20 Jahren – die Hope Kapstadt Stiftung, die sich aidskranken Kindern in Südafrika widmet, und organisiert die Hope Gala. Sie verleiht den Women Award an innovative Frauen aus der IT-Branche, coacht Unternehmerinnen, investiert in Start-ups, unterhält zahllose Netzwerke. Und weil das alles noch nicht genug ist, hat sie vor drei Jahren den Job als Honorarkonsulin für Finnland in Sachsen angenommen. Sie hat immer mehr Bälle in der Luft gehabt, als andere tragen können.

Viele Bälle in der Luft hat auch Jessica Holzbach. Mit 33 Jahren hat sie bereits ihr drittes Unternehmen gegründet. Das zweite, Penta, eine Onlinebank für Unternehmen, verkaufte sie 2021 an den französischen Konkurrenten Qonto. Auch ihr fiel es nicht leicht, sich von ihrem Baby zu verabschieden. „Eine Mischung aus Melancholie und Stolz“ sei mit dem Abschied verbunden gewesen. „Auf der einen Seite war es traurig, weil ich und meine Mitgründer*innen eine Vision vom Erfolg hatten. Andererseits wird das Unternehmen mit der gleichen Zielsetzung weitergeführt, und es macht mich auch stolz, dass der Gedanke weiterlebt. Es ist ein tolles Ergebnis dafür, dass wir das Unternehmen vor ein paar Jahren im Hinterzimmer aufgebaut haben“, sagt sie. Anders als Viola Klein gönnte sie sich nach dem Exit eine Pause. Die Beine baumeln lassen, die Zeit genießen, Stress abbauen. „Ich habe es genossen, den Laptop geschlossen zu lassen, draußen zu sein, zu wandern, am Meer Sonne zu tanken. Ich brauchte dringend eine Pause, weil ich so lange mit dem Kopf gearbeitet habe. Um Kraft zu sammeln, wollte ich mich mehr körperlich betätigen.“ Ein halbes Jahr hat sie sich gegönnt. Theoretisch. Denn schon nach ein paar Monaten ging sie mit einer neuen Idee schwanger. Und im vergangenen Jahr wurde ihr neues Baby geboren: Pile, ein Treasury-Management-Start-up, das Unternehmen hilft, ihr Kapital besser zu verwalten und zu diversifizieren. N26-Grunder Maximilian Tayenthal und Fußballweltmeister Mario Götze haben sie in der ersten Finanzierungsrunde unterstutzt. Wer erfolgreich ein Unternehmen

aufgebaut und geführt hat, ist wahrscheinlich nicht dafür gemacht, nach einem Exit einfach in den Leerlauf zu schalten, nachdem er jahrelang Vollgas gegeben hat. Oder umgekehrt: Wer sich ein Leben in der Hängematte unter brennender Sonne wünscht, hat wahrscheinlich nicht den nötigen Willen und Biss, ein Unternehmen aufzubauen und groß zu machen.

Viola Klein, ein Kind der DDR, hatte schon im Arbeiter-und-Bauern-Staat einen ausgeprägten Willen gezeigt. Sie fiel früh auf. Erst angenehm, dann unangenehm: Mit 24 Jahren übernahm sie als eine der jüngsten Frauen im Land die Leitung eines Kindergartens. Und noch vor der Wende trat sie aus der SED aus, ein ungeheurer Vorgang. Aber Angst stand noch nie in ihrem Lebenslauf. „Ich bin in einer sozialistischen Familie aufgewachsen. Bei mir hat es eine ganze Weile gedauert, bis ich angefangen habe, selbst zu denken, und begriffen habe, wie die Dinge in der DDR funktionieren“, sagt sie. Sie fand einen Anwalt und erreichte, dass man sie wieder einstellte. Sie hat schon immer lieber Untergestritten, als klein beizugeben. So jemand lässt sich von ein paar Millionen nicht in den Ruhestand abschieben. Jessica Holzbach konnte ihre Füße auch nicht lange stillhalten. Sie musste zurück ins Rennen. „Ich wusste immer, dass ich nach der Pause weitermachen wurde. Mir hat der Ausgleich gefehlt, Ideen zu entwickeln, etwas aufzubauen, im Team zu arbeiten. Die Herausforderung hat mir gefehlt.“ Über

fehlende Herausforderungen kann sich die Ältere der beiden auch nicht beklagen. Viola Klein hat schon immer auf sämtlichen Hochzeiten getanzt, auf der eigenen mit dem Konzertveranstalter Hermjo Klein sogar mit Udo Lindenberg und ihrem Trauzeugen Harry Belafonte – privates Netzwerk sozusagen. „Ich genieße den Trubel, brauche es, gebraucht zu werden.“ Menschen zusammenzubringen, das ist eins der großen Talente der Sächsin. Im Laufe ihres Berufslebens hat Viola Klein zahllose Netzwerke aufgebaut. „Ich bin nicht nur in der IT-Branche sensationell vernetzt, sondern auch in der Kultur“, sagt sie selbstbewusst und ohne jede Überheblichkeit. Alles begann mit dem Weiberstammtisch in Dresden. Dort versammelte sie junge Unternehmerinnen, denn sie wusste schon damals: „Männer sind einfach besser vernetzt. Das haben sie uns Frauen voraus. Da müssen wir auch hinkommen, wenn wir uns an der Spitze von Unternehmen durchsetzen wollen.“

Sie gründete verschiedene Gruppen auf LinkedIn und ein Pokernetzwerk für Unternehmerinnen. „Wir haben uns erst gegenseitig das Geld aus der Tasche gezogen und uns dann unterstützt.“ In der intech-Branche sind Frauen noch deutlich in der Unterzahl. Sie gründen seltener Unternehmen nehmen und erhalten weniger finanzielle Mittel von Investoren. „Ich bin jetzt eine Weile in der Branche und sehe, dass immer mehr Frauen dort Fuß fassen, aber nach wie vor gibt es einen großen Aufholbedarf “, sagt Jessica Holzbach. Deshalb liegt es ihr auch am Herzen, Frauen dabei zu unterstützen, ihren Weg in die Branche zu finden. Sie selbst hat sich schon als junge Erwachsene, damals lebte sie noch in der hessischen Provinz, für das Bankwesen interessiert. „Ich fand Banking immer schon spannend. Das ist vielleicht etwa speziell. Über mein BWL-Studium bin ich dann in der Fintech-Branche gelandet.“

Als Business Angel investiert sie inzwischen in Start-ups, vornehmlich im Bereich Fintech, wie Viola Klein hauptsächlich in weiblich geführte Unternehmen. Ihr Rat an andere Gründerinnen: „Man muss die Dinge machen, nicht zu lange darüber reden. Einfach umsetzen, auch mal scheitern und nach Misserfolgen weitermachen. Es werden immer Dinge schiefgehen, man trifft auch mal Fehlentscheidungen. Aber man muss lernen, damit umzugehen.“ Wo sie sich in zehn Jahren sieht? „Sollte ich Pile dann erfolgreich verkauft haben, werde ich sicher wieder etwas anderes auf bauen. Ich habe diesen Antrieb schon seit der Jugend“, sagt sie. Sie kann nie wirklich lange still sitzen. Das ist auch nicht Viola Kleins herausragende Qualität. In zehn Jahren ist sie 75. „Ich habe einen Wohnsitz in Andalusien. Da wurde ich gern öfter mal sein. Aber inzwischen kann man ja von überall aus arbeiten“, sagt sie. Kein Wort vom Ruhestand. Zwei Frauen, zwei Generationen. Beide machen sich nicht wirklich Gedanken, wo sie in zehn Jahren sein könnten. Aber eines ist wohl sicher: beide voll in Action.

 

Text SEBASTIAN HOLDER
© Na_Studio_Shutterstock; Caroline Pitzke; Max Zerrahn

 

Dieser Artikel wurde erstmals in der UNTERNEHMERIN 02/23 veröffentlicht.